Wirtschaftsinitiative Lausitz stellt neue Weichen auf Mitgliederversammlung in Weißwasser & fordert zusammen mit anderen Verbänden von den Koalitionsverhandlungen in Brandenburg und Sachsen klare Rahmenbedingungen für die Wirtschaft
Vergangene Woche fand in Weißwasser die Mitgliederversammlung der Wirtschaftsinitiative Lausitz (WiL) e.V. statt. Warum es die WiL im Strukturwandel unbedingt braucht.
Jannis Simons / pm
Hinter der WiL liegt ein „Jahr der Veränderungen“, resümierte der Vorstandsvorsitzende Andreas Seide im Foyer der Stadtwerke Weißwasser. So gibt es seit einem Jahr, statt einem hauptamtlichen Geschäftsführer, einen ehrenamtlichen Vorstand. Das wird aber als Chance gesehen, verschiedene Aspekte aus den Firmen der zahlreichen Mitglieder mit einzubringen. „Wir wollen und brauchen den Input der Unternehmen und werden das Ohr noch mehr an der Masse zu haben“, erklärt WiL-Vorsitzender Seide.
Neue Aufgaben und Ziele
Neue Aufgaben und Ziele werden u.a. eine verstärkte Gremienarbeit mit anderen Verbänden und Organisationen, sprich Gespräche mit anderen Multiplikatoren der Region sein, um künftig noch stärker gegenüber der Politik aufzutreten als einzelne Firmen es können. So erarbeitete die WiL gemeinsam mit sechs anderen Wirtschaftsverbänden – BVMW Wirtschaftsregion Brandenburg Süd-Ost, Marketing Club Lausitz e.V., Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg (UVB) e.V., Unternehmerverband Brandenburg-Berlin (UVBB) Südbrandenburg, DEHOGA Brandenburg (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband Brandenburg e.V.) – jüngst ein Forderungspapier für die Koalitionsverhandlungen in Sachsen und Brandenburg.
Unterstützer beim Net Zero Valley Lausitz seit der ersten Stunde
Die WiL ist und bleibt ein starker und wichtiger Partner für Innovationen in der Lausitz, allen voran für die Bewerbung der Lausitz zum ersten Net Zero Valley Europas. Dass die WiL hier viel bewirken kann, liegt allein schon daran, dass sie im Unterschied zu vielen anderen Institutionen der Region von Beginn an über die Bundesländergrenze hinweg arbeitet und aus der gesamten Lausitz, branchenübergreifend, Unternehmen als Mitglieder hat, die sich zukunftsfähig entwickeln wollen. Die WiL habe hier die Chance, länderübergreifend eine starke Stimme zu sein, die die „Gemeinsamkeit“ der Lausitz beispielhaft herausstellt. Tim Berndt aus dem WiL-Vorstand unterstreicht: „Mit dem Net Zero Valley kann die Lausitz als Wirtschaftsraum hervorstechen, der international für Dekarbonisierung, Entwicklung neuer grüner Technologien und Innovationen steht. Das Ziel der WiL ist es, eine aktive Akteursgruppe in diesem ganzen Prozess zu sein.“
Mehr Hintergründe zum Net Zero Valley Lausitz und zur Bedeutung der Wirtschaftsinitiative Lausitz in diesem Prozess gab es bereits in der aktuellen Herbstausgabe 2024 des Printmagazins STARK für die LAUSITZ. Hier geht’s zum Beitrag.
Das Forderungspapier der Lausitzer Wirtschaft zu den Koalitionsverhandlungen in Brandenburg und Sachsen im Wortlaut:
„Erwartungen der Lausitzer Wirtschaft an die Koalitionsverträge der Brandenburgischen und Sächsischen Regierungsparteien
Die Ergebnisse der brandenburgischen und sächsischen Landtagswahlen 2024 stellen hohe Anforderungen an die Bildung der jeweiligen Regierungen. Sicherlich müssen Kompromisse gesucht und gefunden werden. Dennoch erwartet die Lausitzer Wirtschaft von allen politischen Akteuren die Bedürfnisse der Unternehmen wahrzunehmen und im Lauf der anstehenden Legislaturperiode umzusetzen.
Nur so kann die erfolgreich angestoßene Strukturstärkung der Lausitz gelingen.
Milliarden von Euro werden durch die Landesregierungen für die Region bereitgestellt. Die Wirtschaft der Lausitz anerkennt diesen Einsatz. Sie stellt sich darüber hinaus der damit einhergehenden Verantwortung und will ihren Beitrag leisten, damit aus diesen Investitionen eigenständige und leistungsstarke Wertschöpfungsketten erwachsen, die direkt oder indirekt die Grundlage jeglichen Steueraufkommens sind.
Damit dieses Ziel erreicht werden kann, sind durch die Politik schnellstmöglich unverzichtbare Rahmenbedingungen zu schaffen. Im Folgenden benennen wir die aus unserer Sicht wichtigsten Themen. Wir erwarten, dass die von uns vorgeschlagenen Lösungsansätze Eingang in die Koalitionsverträge in den Ländern Sachsen und Brandenburg finden und Teil des Regierungshandelns in den nächsten Jahren werden.
Net Zero Valley Lausitz begründen
Die länderübergreifende Lausitz sollte Deutschlands erstes Net Zero Valley werden. Die Weichen dafür sind aufgrund des ebenso geschlossenen wie entschlossenen Vorgehens von Lausitzer Wirtschaft und Kommunalpolitik gestellt.
Der zugrunde liegende Net Zero Industry Act würde die industrielle Ansiedlung von Netto-Null-Technologien erleichtern.
Ein Net Zero Valley Lausitz wäre somit ein entscheidender Faktor für die Attraktivität des Industrie- und Wirtschaftsstandortes Lausitz. Die Region würde sich dadurch national, aber auch international als grüner Industriestandort profilieren und könnte dadurch leichter Fachkräfte anziehen.
- Die Landesregierungen müssen den Prozess zur Begründung eines Net Zero Valley Lausitz fördern und in guter länderübergreifender Zusammenarbeit sowie mit den beteiligten Bundesministerien im ersten Quartal 2025 ins Ziel bringen.
- Die im Net Zero Industry Act enthaltene Idee der „Wirtschaftsförderung durch Deregulierung“ wird nicht nur für Ansiedlungen, sondern auch für die Bestandswirtschaft als erfolgreiche Blaupause genutzt und ausgeweitet. Die Wirtschaftsunternehmen erwarten, dass die Landesregierungen dies nach Kräften – und ggf. auch gegen Widerstände – unterstützen.
Energiekosten senken
Nach wie vor sind die Energiekosten in Deutschland und auch in Brandenburg im internationalen Vergleich für die Wirtschaft nicht konkurrenzfähig. Einer der Gründe dafür ist der mit der Energiewende verbundene Ausstieg aus der Kernenergie und der Braunkohleverstromung.
Zudem besteht in der Wirtschaft nach wie vor Verunsicherung, ob die derzeitigen politischen Maßnahmen geeignet sind, die Energiekosten rasch auf ein konkurrenzfähiges Maß zu senken und langfristig zu gewährleisten.
Beides zusammen führt sowohl zu einer Schwächung des Mittelstandes als auch der Großunternehmen in Brandenburg sowie insgesamt zu einer Abwertung des Wirtschaftsstandortes.
Konkurrenzfähige Energiepreise und ein klarer und verlässlicher politischer Kurs dahin müssen zentrale Ziele der Brandenburger und Sächsischen Wirtschaftspolitik sein.
- Der Ausstieg aus der noch bestehenden Braunkohleverstromung darf allenfalls in dem bisher beschlossenen Maß und nur dann erfolgen, wenn und soweit stabile und wirtschaftlich international wettbewerbsfähige Alternativen in Betrieb sind.
- Die Landesregierungen müssen sich auf Bundesebene auch weiterhin für eine technologieoffene Energieversorgung einsetzen.
- Der Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur und grundlastfähiger Gas- / H2-ready-Kraftwerke ist zu beschleunigen. Auch dazu kann die Deregulierung im Rahmen des Net Zero Valley Lausitz einen Beitrag leisten.
- Der Zubau der EEG-Anlagen muss an den Ausbau der Netze gebunden werden, um die Kosten für Systemdienstleistungen zu reduzieren.
Mittelstand durch Deregulierung und Bürokratieabbau stärken
Die Strukturstärkung der Lausitz nimmt Fahrt auf. Durch die Politik wird viel Geld für die Region – insbesondere in Form von Leuchtturmprojekten – bereitgestellt. Dennoch können viele kleine und mittelständische Unternehmen aktuell noch nicht davon profitieren. Schlimmer noch: Teilweise verlieren sie unverzichtbares Personal an große Strukturstärkungsprojekte.
Der Mittelstand nimmt diese Herausforderung an, wird dabei jedoch massiv durch eine immer weiter zunehmende Bürokratisierung und Regulierung von Prozessen behindert. Die Landesgesetzgeber sind immer noch Teil dieses Problems und müssen nun auch Teil der Lösung werden.
Dazu gehören z. B. folgende Maßnahmen:
• One in – two out: Ein Gesetz ist nur zu erlassen, wenn dafür zwei andere wegfallen.
• Sundowner-Klausel: Gesetze müssen mit einem „Verfallsdatum“ erlassen werden, an dem sie automatisch außer Kraft treten, wenn ihr Nutzen nicht vorher nachgewiesen wurde.
• Die vollständige digitale Umsetzung von neuen Gesetzen – auch und gerade im Rahmen der Verwaltung – muss gesichert sein. Dabei muss auf marktübliche, standardisierte Produkte/Lösungsansätze zurückgegriffen werden. Neuentwicklungen sind zu vermeiden.
- Genehmigungsfiktionen: Antragsverfahren sind in wirtschaftlichen Kontexten so zu gestalten, dass nach Ablauf einer festgelegten Frist der Antrag als genehmigt gilt.
- Bei öffentlichen Ausschreibungen ist die „Präqualifizierung“ (online-Datenbank für Ausschreibungsunterlagen) durch die ausschreibenden Stellen konsequenter als bisher zu nutzen.
- Digitale Kommunikation: Sämtlicher Schriftverkehr mit Verwaltungen hat grundsätzlich per E-Mail zu erfolgen.
- best practice: Es gibt in Europa eine Vielzahl von positiven Beispielen (siehe Estland), die auf Brandenburg/Sachsen übertragbar sind. Binnen Jahresfrist ist ein Monitoring durchzuführen, um die Übertragbarkeit solcher Projekte auf BB/SN zu prüfen.
- Durch Digitalisierung und Bürokratieabbau ist das Personal in den Verwaltungen deutlich zu reduzieren.
• Aktive Deregulierung: Dazu empfehlen wir die Berufung eines Wirtschaftsrates bestehend aus Vertretern aus Kammern und Verbänden, der Deregulierungsvorschläge unterbreitet und Gesetzesvorhaben begleitet.
- Die Landesregierungen werden aufgefordert sich für bundeseinheitliche Regelungen zum Bürokratieabbau und zur Digitalisierung umgehend einzusetzen.
Bildungssystem an wirtschaftlichen Bedarfen orientieren
Ein Teil der Arbeits- und Fachkräftekrise resultiert daraus, dass aus den Schulen und Universitäten in Sachsen und Brandenburg zu wenig und/oder nicht hinreichend qualifizierte junge Menschen auf den Arbeitsmarkt kommen.
Um dem abzuhelfen, bedarf es einer Ausrichtung der Bildungslandschaft an den Bedarfen der regionalen Wirtschaft.
• Für die Grundschule muss gelten, dass die Grundanforderungen zum Lesen, Schreiben, Rechnen mit der Klasse 4 erfüllt sind.
• In allen Schulformen sind Wissen und Praxis zu handwerklichen Tätigkeiten, sowie digitale Kompetenzen des Arbeitsalltags zu vermitteln.
• Die Wirtschaft erwartet, dass sich Oberschulen und Gymnasien für regionale Arbeitgebende öffnen, um Schülerinnen und Schülern über Beschäftigungsmöglichkeiten informieren zu können.
• Universitäten müssen sich stärker zu Ihrer Verantwortung als Fachkräfteschmieden der Regionen bekennen und danach ausrichten. Eine verlustfreie Schnittstelle zwischen Absolventen und auch Studienabbrechern zum Arbeitsmarkt ist notwendig, für die auch die Universitäten Verantwortung übernehmen. Englischsprachige Studiengänge sind nur sinnvoll, wenn parallel zwingend ein deutscher Spracherwerb erfolgt. Andernfalls verlassen die frisch ausgebildeten Fachkräfte die Region nach dem Studium.
Fachkräftezuzug erleichtern
Der bestehenden Fachkräftekrise kann nur durch eine Kombination verschiedener Lösungsansätze begegnet werden. Unverzichtbar gehört dazu die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland. Die Lausitzer Wirtschaft sieht dabei kein Migrations-, wohl aber ein massives Integrationsproblem, das seitens der Landespolitik zu lösen ist.
• Die rechtlichen Rahmenbedingungen und die verwaltungsmäßige Umsetzung für Zuzug von arbeitswilligen Menschen aus dem Ausland sind radikal zu vereinfachen. Ziel muss es sein, jeden Menschen, der in der Lausitz studieren, einen Beruf erlernen oder arbeiten und sich integrieren will, schnell und unkompliziert willkommen zu heißen.
Zur Integration müssen aber auch schnelle und wirksame Mechanismen gehören, um sich von Menschen, die sich nicht integrieren und in Brandenburg arbeiten können oder wollen, rasch wieder zu verabschieden.
• Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen muss erheblich vereinfacht, beschleunigt und bundesweit vereinheitlicht werden. Sie sollte zudem nicht die zwingende Voraussetzung für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses sein. Die Einschätzung der Arbeitgebenden hinsichtlich der tatsächlichen Qualifikation ihrer ausländischen Arbeitnehmenden müssen im Rahmen der Anerkennung ein erhebliches Gewicht erhalten. Grundsatz: Schließen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag ab, der den Grundsätzen des deutschen Arbeitsrechtes entspricht, dürfen dem keine anderen formellen Behinderungen entgegenstehen.
• Das Erlernen der deutschen Sprache muss gefordert und gefördert werden. Ein pauschales, gesetzlich festgelegtes Sprachniveau darf jedoch nicht die Zuwanderung vereiteln, solange ein Angebot für ein Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis vorliegt.
Verkehrsinfrastruktur ausbauen
Die bestehenden Verkehrsinfrastrukturen zur und in der Lausitz sind weder für den Erhalt, noch für das Wachstum der Wirtschaft in der Region ausreichend.
Wir erwarten von den Landesregierungen, dass sie gemeinsam und zusammen mit der kommunalen, aber auch der Bundesebene Lösungen finden, die in akzeptablen Zeiträumen realisiert werden.
• Die Lausitzer Wirtschaft erwartet eine schnelle und eng getaktete Bahnverbindung zwischen Berlin und Cottbus und weiter bis nach Dresden, sowie eine ebensolche Verbindung nach Breslau geben.
• Bundesstraßen innerhalb der Region müssen einen zügigen Wirtschaftsverkehr ermöglichen und ggf. ausgebaut werden. Dafür notwendige Ortsumfahrungen sind innerhalb von 1 – 2 Jahren zu realisieren. Falls nötig, muss der Rechtsrahmen entsprechend angepasst werden.
• Verkehrsprojekte, die wesentliche Verkehrseinschränkungen mit sich bringen, sind so zu planen und umzusetzen, dass sie in kürzester Frist abgeschlossen werden. Landes- und Kommunalbehörden sind in der Pflicht, Arbeits- und Planungszeiten so zu gestalten, dass dieses Ziel erreicht wird.
• Die Lausitzer Wirtschaftsunternehmen sehen die Notwendigkeit, dass die ÖPNV-Verbindungen hinsichtlich der Taktung an die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden angepasst werden.
Kooperation und Dialog fördern
Wir sind davon überzeugt, dass die notwendige Strukturstärkung nur gelingen kann, wenn Brandenburger und Sächsische Politik und Wirtschaft einen stetigen Dialog aufrechterhalten und eng miteinander kooperieren.
Mit unseren Erwartungen sind konkrete Lösungsvorschläge verbunden, die wir sehr gern mit Ihnen in vertiefenden Gesprächen vorstellen möchten. Dafür stehen unsere Organisationen als Ansprechpartner und Unterstützer jederzeit sehr gern zur Verfügung.“
Hintergrund
Die Wirtschaftsinitiative Lausitz ist ein professionelles Unternehmensnetzwerk, das als regionale Aktions- und Netzwerkplattform für die Lausitz aktiv ist. 2009 wurde sie auf Initiative von Lausitzer Unternehmen für Lausitzer Unternehmen gegründet.
Ziel ist die Entwicklung und Vermarktung der Lausitz als einheitliche Wirtschaftsregion und als eigenständige Marke. Die WiL vertritt die Interessen der Lausitz aktiv gegenüber den Landesregierungen und den Landtagen im Freistaat Sachsen und im Land Brandenburg.
Ab sofort erhältlich – Herbstausgabe des „STARK für die LAUSITZ“-Magazins 2024
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