Im Gespräch mit Bergmann a.D. Günter Seifert: »So konzentriert ist über die Lausitz noch nie nachgedacht worden«
Bergmann a.D. Günter Seifert über Vergangenheit und Zukunft des Wirtschaftsstandorts Lausitz, das Gaskombinat Schwarze Pumpe und die Drushba-Trasse
Aus der aktuellen Herbstausgabe des „STARK für die LAUSITZ“-Magazins
„Lausitzer Bergleute sind krisenfest. Die haben schon mehrere Energiewenden erlebt“, so Günter Seifert, Bergbau-Veteran, dessen Werdegang im ehemals Kohle- und Energiebezirk der DDR, Cottbus, symptomatisch war. Dennoch hängt der 83-Jährige keineswegs der Vergangenheit nach. Sehr wohl weiß er aktuelle Entwicklungen, also auch den Strukturwandel, fair einzuordnen und zu bewerten. Was daran liegen mag, dass Günter Seifert bereits zu DDR-Zeiten auch Weltbürger war – zumindest beruflich. WochenKurier unterhielt sich mit ihm anlässlich 30 Jahre Traditions- und Förderverein „Glückauf Schwarze Pumpe“, den er mitbegründete und heute als Ehrenmitglied begleitet.
Günter Seifert wurde 1939 in Reichenau, Kreis Zittau, geboren. Nach seinem Abitur studierte er an der Bergakademie Freiberg und beschäftigte sich mit Kohleveredlung. Seine Praktika hatte er wechselseitig im Gaskombinat Schwarze Pumpe (heute LEAG) und im Synthesewerk Schwarzheide (heute BASF). Die Themen von damals klingen sehr aktuell – einerseits ging es um die effiziente Vergasung von Kohle und andererseits um die Chemosynthese von Kohle in Benzin.
1963 schließlich schloss Seifert das Studium ab, ging in die Lausitz und legte dort eine rasante Entwicklung vor. Anfangs in der Kokerei Lauchhammer, wechselte er nach Schwarze Pumpe, hatte mehrere Führungsposten inne und wurde schließlich Regierungsbeauftragter für den Erdgastrassenbau Sowjetunion – DDR („Drushba-Trasse“). „Das war ein Projekt gelebter Völkerverständigung“, bemerkt Günter Seifert trocken mit Blick auf die aktuelle Ukraine-Krise und die politischen Reaktionen darauf.
Foto: Tudyka.PR
10 Millionen Braunkohle-Briketts
1972 promovierte Seifert zu Automation und Kohleveredlung, 1984 wurde er stellvertretender Generaldirektor des Gaskombinates Schwarze Pumpe. Das hatte damals 35000 Beschäftigte, allein am Standort Pumpe (heute Industriepark) arbeiteten 15000. 21 Jahre, bis 1993, war Seifert Delegierter der Internationalen Gasunion (NGU), die Mitglieder aus 45 Ländern hatte. Beim 18. Weltgaskongress 1991 avancierte er zum Programmdirektor. Ein Beleg auch dafür, dass die Expertise aus der Lausitz weltweit Gewicht hatte und die hiesigen Erfahrungen gefragt waren. Doch es kam anders. Das Kombinat wurde nach der Wende zerschlagen und aufgeteilt. „Wir übergaben den neuen Eigentümern drei Millionen Kunden und ein jährliches Produktionsaufkommen von 10 Millionen Braunkohle-Briketts.“
Maximalgewinn hat auch was Gutes
Seinen Werdegang in der DDR will Seifert nicht missen. „Ich hatte eine sehr solide, praxisorientierte Ausbildung an der ältesten technischen Hochschule Europas. Mit der wachsenden beruflichen Verantwortung wurde ich gründlicher, begann, in komplexeren Zusammenhängen zu denken und erkannte den Wert großer sozialer Kollektive. Denn Bergbau ist nicht eines Mannes Sache allein.“ Neu nach der Wende war dann die „Schärfe des ökonomischen Drucks mit dem Ziel auf Maximalgewinn. Das hat aber auch was Gutes“, meint er, „denn es setzt auch einen sparsamen Umgang mit Finanzen und Ressourcen voraus – was in der DDR verwässert war.
Heute hat ein Manager nur einen unternehmensbezogenen Überbau – und keinen ideologischen. Das funktioniert besser. Die DDR mühte sich sozial zu sein, was aber wirtschaftlich nicht durchdacht war und vom System her nicht funktionierte.“ Schließlich verabschiedete sich Günter Seifert aus Pumpe, war einige Jahre für einen anderen Konzern tätig und ging schließlich in den Ruhestand. Doch angesichts seiner Vita verwundert es nicht, dass es eher ein Unruhestand wurde. Der Bergmann a.D. beobachtete die Entwicklung seiner ehemaligen Wirkungsstätte und konstatiert: „Die Entwicklung des Industrieparks Schwarze Pumpe ist ein Glücksfall für die ganze Lausitz. Der Strukturwandel ist dort bereits seit Anfang der 90er eingeleitet worden, was durch die Übernahme des Industrieparkmanagements durch die ASG Spremberg erheblich verstärkt wurde. Jetzt kommt es darauf an, dass Pumpe vom reinen Energieerzeugungsstandort zu einem Fertigungsstandort entwickelt wird.“ Die Investition des australischen Unternehmens Altech im Industriepark ist für ihn ein Vorzeige-Beispiel – hier gehe es ja auch um die effizienteste Nutzung von Rohstoffen.
Wer lässt sich noch wegbaggern
Der Kohleverstromung gibt er langfristig keine Chance mehr, denn es fehle schließlich an Akzeptanz in der Bevölkerung: „Wer lässt sich noch freiwillig Haus und Heim wegbaggern?“ Den Kohleausstieg sieht er positiv, wenngleich mit Wehmut. 2015 habe es ein Demonstrationskraftwerk mit CO2-freiem Rauchgasausstoß gegeben – hier hätte man weitermachen müssen, meint Günter Seifert. Doch stattdessen kam ein wirtschaftspolitisches „Hü und Hott“ und nicht nachvollziehbare Zeitzwänge. „Wenn solch radikale Umbrüche politisch motiviert sind, geht es daneben. Macht man sich von einer vermeintlich überholten Energiequelle frei, entstehen neue Abhängigkeiten.“
Es geht um neue Wertschöpfungsketten
Aber dennoch begrüßt Seifert den Strukturwandel. „So konzentriert über die Lausitz ist noch nie nachgedacht worden wie jetzt.“ Dabei mahnt er aber an, dass infolgedessen nicht die letzte Wertschöpfungskette der Lausitz – die Kohleverstromung – einfach nur zerstört wird. Es reiche nicht, nur auf Leuchtturmprojekte zu schauen – sie müssen in neue Wertschöpfungsketten eingebunden werden. Als Beispiel führt er die Erweiterung des Cottbuser Bahnwerks an. Tolles Projekt, so Seifert. Warum geht es jedoch nicht gleich um die gesamte Wertschöpfungskette rund um den ICE, um Zulieferer, Forschungsstätten für schienengebundenen Fahrzeugbau, Elektronik, Stahlbau, Verkehrsleittechnik …?
Auch er kann dem Instrument einer Sonderwirtschaftszone Lausitz einiges abgewinnen. Wenn das im Nachbarland Polen eine Erfolgsstory ist, warum dann nicht auch bei uns, fragt er.
Hierbleiben lohnt sich
„Strukturwandel hängt mit dem sehr persönlichen Engagement von Kommunal- und Landespolitikern zusammen. Dabei muss noch viel mehr die Kooperation der Privatwirtschaft mit der staatlichen Verwaltung verstärkt werden. Außerdem brauchen wir eine bessere Kommunikation. Es muss noch viel mehr und verständlicher über die Chancen des Strukturwandels aufgeklärt werden. Denn jetzt können wir unseren Kindern und Enkeln sagen – Hierbleiben lohnt sich!“
www.tfv-glueckauf-sp.com
www.industriepark.info
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