Update mit Exklusiv-Interview: Industrie- und Handelskammern Cottbus und Dresden verbünden sich für das Net Zero Valley Lausitz
Die Lausitz in Brandenburg und Sachsen fiebert der Idee eines „Net Zero Valley Lausitz“ (NZVL) entgegen – einer Modellregion, in der klimaneutrales Wirtschaften großgeschrieben wird. Die Industrie- und Handelskammern (IHK) Cottbus und Dresden setzen sich dafür ein, dass alle Chancen und Vorteile transparent kommuniziert werden – besonders für die ansässigen Unternehmen, denn ohne sie kann es nicht gelingen.
PM/C.M. Schwab
Beim IHK-Unternehmerforum Mitte März in der Lausitzhalle Hoyerswerda waren rund 190 Vertreterinnen und Vertreter der Lausitzer Wirtschaft dabei. Sie informierten sich über neue Geschäftsmöglichkeiten, innovative Technologien und Förderprogramme im Rahmen einer Modellregion Lausitz. Für die IHK-Präsidenten Jens Warnken und Dr. Andreas Sperl war die Veranstaltung eine Blaupause für überregionale Zusammenarbeit in Deutschland, aber auch in Europa. Frank Großmann, IHK-Geschäftsstellenleiter Görlitz: „Trotz unterschiedlicher rechtlicher Voraussetzungen und politischer Konstellation in beiden Bundesländern kann etwas bewegt werden. Das war auch die Botschaft.“ Jens Warnken, Präsident der IHK Cottbus, machte dazu klar: „Ohne die Unternehmen in der Lausitz kann die nachhaltige Transformation nicht gelingen.“
Lausitzer Projekte sollen gefördert werden
Die EU will mit dem „Net Zero Industrial Act“ bestimmte Projekte in solchen Modellregionen besonders fördern. Dabei geht es unter anderem um große Investitionen in erneuerbare Energien, um Energiekosten zu senken und die Versorgung vor Ort zu stärken. Außerdem sollen Kooperationen zwischen kleinen, mittelständischen und großen Unternehmen erleichtert werden, etwa im Bereich Forschung und Innovation.
Sogwirkung wird unglaublich sein
Die IHKs sehen aber noch offene Fragen: Damit sich wirklich neue Firmen in der Region ansiedeln, müssen zusätzliche Anreize her. „Welche wirtschaftlichen und steuerlichen Vorteile Investitionen in klimaneutrale Technologien wirklich vorantreiben, muss noch geprüft werden“, sagte Dr. Andreas Sperl, Präsident der IHK Dresden. „Alle Unternehmen müssen gleichermaßen profitieren – das ist entscheidend.“ Bernd Loose von Actemium BEA in Schwarze Pumpe glaubt daran. Auf dem Business-Portal LinkedIn schreibt er begeistert: „Das Wir-Gefühl, die Dachmarke, die Sogwirkung werden unglaublich sein. Wir wollen DAS NZVL in Deutschland werden!“
Unterstützung auf allen Ebenen erwartet
Zwar sollen durch das neue EU-Gesetz Genehmigungen schneller und unbürokratischer erteilt werden, doch es gibt noch einige Hürden. Damit neue Produktionsstätten, Infrastrukturprojekte und Innovationszentren zügig entstehen können, müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich gestrafft werden.
Jens Warnken: „Runde Tische mit Unternehmen, Verwaltung und Politik könnten helfen, konkrete Lösungen zu finden und direkt umzusetzen.“ Dazu sollten Prüfverfahren aufs Wesentliche reduziert, Prozesse digitalisiert und Personal effizienter eingesetzt werden.
Von der Politik erwarten die Kammern Unterstützung auf allen Ebenen – von der EU bis zur Kommunalpolitik. Ein klares Regelwerk, finanzielle Förderung und eine gut ausgebaute Infrastruktur sind essenziell, damit sich die Lausitz als Net Zero Valley erfolgreich etablieren kann.
Antrag für die Lausitz in Brüssel übergeben
Bis spätestens Ende März soll der offizielle Antrag für ein Net Zero Valley Lausitz in den Ländern Brandenburg und Sachsen eingereicht werden. Ein symbolischer Antrag wurde in der vergangenen Woche der EU-Kommission in Brüssel übergeben.
Net Zero Valley Lausitz – Unternehmen gestalten Zukunft aktiv mit
Interview mit Frank Großmann (FG), Geschäftsstellenleiter Görlitz bei der IHK Dresden und Dorit Köhler (DK), Leiterin Geschäftsbereich: Innovation und Nachhaltigkeit bei der IHK Cottbus. Beide arbeiteten bei der inhaltlichen Planung des Unternehmerforums eng zusammen.
Herr Großmann, Frau Köhler, gefühlt gab es in den letzten zwei Jahren unzählige Veranstaltungen zum Thema Net Zero Valley Lausitz (NZVL). Was zeichnete das Unternehmerforum der beiden Kammern gegenüber anderen Formaten aus?
FG: Wir haben mit unserer Veranstaltung gezielt Unternehmen im zukünftigen NZVL angesprochen, die aus unserer Sicht eine Relevanz zu den gewählten Netto-Null-Technologien haben und sich in irgendeiner Stufe der Lieferkette wiederfinden könnten. Auch das Thema Qualifizierung des künftigen Fachkräftebedarfs war ein wichtiges Auswahlkriterium. Besonders war: Wir wollten die Unternehmen nicht nur informieren, sondern aktiv einbinden. Ihre Ideen und Wünsche sollen in den Prozess eines erfolgreichen NZVL einfließen. Das gab es so bisher noch nicht.
DK: Unser Ziel war es, die Unternehmen in der Region auf dem Weg zum Net Zero Valley Lausitz mitzunehmen. Für viele ist das Thema noch neu. Fragen wie „Was genau ist ein Net Zero Valley?“ oder „Wie kann ich davon profitieren?“ standen im Raum. Wir wollten zeigen, wie sich Unternehmen in der Wertschöpfungskette wiederfinden können. Auch wenn der Weg noch nicht klar gezeichnet ist – das Forum hat konkrete Beteiligungsmöglichkeiten aufgezeigt. Die Lausitz ist die erste Region in Europa, die sich auf diesen Weg gemacht hat. Und das bietet Chancen, aktiv mitzugestalten.
Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, Entbürokratisierung oder der Ausbau von Infrastruktur – das sind altbekannte Forderungen der Wirtschaft. Konnte das Unternehmerforum hier konkrete Impulse setzen?
FG: Verständlicherweise konnte das Forum noch keine Bewegung auslösen – dazu war die Zeit zu kurz. Aber: Relevante Akteure aus EU-, Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik waren dabei und konnten die Anliegen der Unternehmen direkt aufnehmen. Das hilft auch uns als IHKs, unsere Rolle als Interessenvertreter zu stärken und unsere Arbeit mit echten Unternehmerstimmen zu untermauern.
DK: Das Thema begleitet uns seit Jahren. Zwar gibt es Gutachten und Pakte für schnellere Genehmigungsverfahren, aber wir kommen nur schleppend voran. Einer der Gründe ist, dass die Digitalisierung nicht zentral auf Bundesebene entwickelt wird – jedes Land ist für sich verantwortlich. Aber: Das Unternehmerforum hat auch gezeigt, dass die Länder Handlungsspielraum haben. Prozesse verschlanken oder Fachkräfte in Behörden qualifizieren – dafür braucht es keinen Gesetzeswandel, sondern politischen Willen. Wichtig ist, das Vertrauen ins Unternehmertum zu stärken. Keine „Prüfung der Prüfungen“ mehr! Wenn die Landesregierungen aktiv mit am Tisch sitzen, können wir hoffen, dass sich endlich etwas bewegt.
Nach anfänglicher Euphorie scheint sich bei manchen Unternehmen Skepsis breitgemacht zu haben – auch wegen unklarer wirtschaftspolitischer Signale. Konnte die Konferenz hier gegenwirken?
FG: Die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren durchweg positiv – insbesondere was die Klarheit betrifft, was das NZVL sein kann und was nicht. Der Prozess war bislang stark auf ein kleines Team konzentriert. Das hatte Vorteile, aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die Beteiligung zu verbreitern. Wir als Kammern wollen nun unsere konkreteren Erkenntnisse nutzen und gemeinsam mit den Unternehmen nächste Schritte erarbeiten. Natürlich gibt es weiterhin Unsicherheit – aber der Nebel lichtet sich. Es wird Zeit, die Vision greifbar zu machen.
DK: Die Net Zero Valleys sind im Net Zero Industry Act (NZIA) der EU verankert. Diese Verordnung gilt direkt, ohne nationale Umsetzung. Der Bund hat die Verantwortung an die Länder übergeben – und Sachsen wie Brandenburg unterstützen uns. Zudem haben wir die Möglichkeit, direkt mit der EU zu verhandeln. Das stimmt uns zuversichtlich, dass wir das Thema aus der Region heraus voranbringen können.
Die IHK-Präsidenten sprachen von einer „Blaupause der Zusammenarbeit“. Was kann Ihr Handeln konkret bewirken, und welche Botschaft richtet sich an Unternehmen und ihre Beschäftigten?
FG: Unsere Zusammenarbeit zeigt: Auch mit unterschiedlichen rechtlichen und politischen Voraussetzungen funktioniert Kooperation über Ländergrenzen hinweg. Wenn es uns gelingt, die Chancen des EU-Rahmens zu nutzen und einen zukunftsfähigen Markt rund um Netto-Null-Technologien in der Lausitz zu etablieren, schaffen wir verlässliche Perspektiven – vor allem für die direkt eingebundenen Unternehmen, aber letztlich für die gesamte Region. Gute Marktbedingungen ermöglichen stabile Preise und damit gute Löhne. Das ist nicht immer gegeben – häufig fehlt es an verlässlichen Märkten oder das eigene Angebot kann nur über den Preis bestehen.
DK: Die klare Botschaft an die Unternehmen war: Nutzt die Chance! Die EU und der Bund haben zum Mitgestalten aufgerufen. Wir als IHKs in Dresden und Cottbus werden diesen Prozess gemeinsam mit den Unternehmen gestalten. Das heißt: konkrete Vorschläge erarbeiten – etwa zur Genehmigungsbeschleunigung, zu Fördermöglichkeiten oder zu Resilienzkriterien. Unser Ziel ist, gemeinsam Rahmenbedingungen zu definieren, die eine klimaneutrale Zukunft wirtschaftlich tragfähig machen.
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