Große LAUSITZRUNDE in Weißkeißel übt Kritik und stellt klare Forderungen für erfolgreichen Strukturwandel an neue Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg
Jannis Simons
Am vergangenen Donnerstag fand in Weißkeißel im Landkreis Görlitz die letzte Sitzung der Großen LAUSITZRUNDE im Jahr 2024 statt. Zeit, um für das kommunale Bündnis wieder Bilanz zu ziehen und den Finger auch in offene ‚Wunden‘ zu legen. Spielt die Lausitz in den neuen Koalitionsverträgen in Brandenburg und Sachsen überhaupt noch eine Rolle?
Viele wichtige Zukunftsfragen standen auf der Tagesordnung der jüngsten Sitzung der Großen LAUSITZRUNDE. Als erstes wurde jedoch die offizielle Verabschiedung des ehemaligen Oberbürgermeisters der Stadt Weißwasser/O.L., Torsten Pötzsch, in seiner Funktion als sächsischer Sprecher der LAUSITZRUNDE durch die Brandenburger Sprecherin, Sprembergs Bürgermeisterin Christine Herntier, und seinen sächsischen Nachfolger im Bündnis vorgenommen. Dabei appellierte Pötzsch, der aus persönlichen Gründen auf eine erneute Kandidatur als Oberbürgermeister verzichtete, an alle Mitglieder: „Lasst euch nicht auseinanderdividieren. Denkt nicht so viel an den eigenen Kirchturm, sondern arbeitet vielmehr daran, die Lausitz, so oft es geht, auf der Weltkarte zu platzieren.“ Sein Nachfolger als sächsischer Sprecher der LAUSITZRUNDE ist seit Anfang Dezember Boxbergs Bürgermeister Hendryk Balko. Parallel wurde auch die neue Oberbürgermeisterin von Weißwasser/O.L., Katja Dietrich, begrüßt, die zusammen mit ihrem Rietschener Kollegen, Ralf Brehmer, ab sofort die Aufgabe als stellvertretende Sprecherin der sächsischen Kommunen übernimmt. Dietrich freue sich auf den gemeinsamen Weg mit der LAUSITZRUNDE. Doch Herntier stellte anschließend zu Beginn ihrer Rede die Frage: „Sind wir beim Strukturwandel in der Lausitz wirklich auf einem guten Weg?“
Die Spremberger Bürgermeisterin stellte klar, dass Großprojekte wie die Gesundheitsmodellregion Lausitz oder das Bahnwerk Cottbus positive Nachrichten hervorbringen und Wirkung auf die gesamte Region haben werden. Doch den kleineren Kommunen fehle es aufgrund knapper Haushaltskassen vermehrt an ausreichend Eigenmittel, um selbst – für deren Verhältnisse große – Projekte im Rahmen des Strukturwandels umzusetzen. In vielen Fällen verzögern sich die Umsetzungen der Projekte auch wegen der sehr aufwendigen Bürokratie. Nachforderungen um Nachforderungen bringe das Personal kleinerer Verwaltungen oft an Kapazitätsgrenzen. So u.a. auch beim einzigen kommunalen Projekt, das gerade in Spremberg läuft, das Gesundheitslandhaus im Ortsteil Schwarze Pumpe, wie Herntier berichtete. Weitere Kritikpunkte waren das in Frage stellen einer künftigen Wasserstoffleitung in der Lausitz oder fehlende finanzielle Zusicherungen für Projekte wie Rock Tech in Guben. „Wir müssen aber vorankommen und Tatsachen schaffen“, meinte Herntier mit gehobener Stimme. Dies sei auch enorm wichtig für den weiteren Prozess, die Lausitz zum ersten „Net Zero Valley“ Europas zu machen.
Das größte Projekt der Lausitz, Sachsens und Brandenburgs, Deutschlands?
Passend dazu gab Dr. Markus Niggemann, Leiter des Geschäftsbereiches Finanzmanagement, Wirtschaftsentwicklung & Soziales der Stadt Cottbus, einen aktuellen Sachstand zur Bewerbung zum Net Zero Valley (NZV) Lausitz. „Es ist das aktuell größte Projekt der Lausitz, Sachsens und Brandenburgs, wenn nicht sogar Deutschlands“, macht Dr. Niggemann die Dimensionen deutlich. Europaweit sei die Lausitz im Bewerbungsprozess nach eigenen Informationen am weitesten, aber es gäbe immer mehr Konkurrenz, auch innerhalb Deutschlands, verriet der Beigeordnete der Stadt Cottbus. Deshalb sei das nach wie vor ein sehr dynamischer Prozess, der noch lange nicht am Ende ist. „Die Arbeit geht jetzt erst richtig los.“ So wird u.a. eine strategische Umweltprüfung notwendig, die im nächsten Quartal abgeschlossen werden soll.
Kern des Ganzen seien vor allem schnellere Genehmigungsprozesse, um Standortvorteile zu schaffen für bereits bestehende Unternehmen und für künftige Investoren. Als ein nächster wichtiger Meilenstein wird aktuell die Schaffung einer NZV-Geschäftsstelle vorangetrieben. Dafür reichte die Stadt Cottbus und der Landkreis Görlitz, die in dieser Sache zusammen als Antragssteller agieren, jüngst einen Projektsteckbrief für einen „STARK“-Antrag ein. Brandenburg und Sachsen sollen somit auch das gleiche NZV mit denselben Voraussetzungen sein. Die Geschäftsstelle soll die LAUSITZRUNDE in jeglichem Punkt mitnehmen, sie einweihen und miteinbeziehen.
Derweil weilten Anfang der Woche Christine Herntier und Hendryk Balko erneut in Brüssel im Europäischen Parlament, um dort über den aktuellen Stand der Lausitz als erstes NZV Europas im Rahmen einer Einladung der sächsischen Landesvertretung zu berichten. Laut Pressemitteilung der LAUSITZRUNDE lautet die abermalige Botschaft seitens der Europäischen Union: „Macht einfach, wir warten drauf!“ Am heutigen Donnerstag treffen Vertreter des kommunalen Bündnisses auf den Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, um auch ihn auf den aktuellsten Stand zu bringen und für eine schnelle Entscheidung des Bundes zugunsten der Lausitz zu werben. Und welche Rolle spielt die Lausitz, insbesondere das ambitionierte Vorhaben Net Zero Valley, in den neuen Landesregierungen Brandenburg und Sachen?
Die Lausitz in den Koalitionspapieren in Sachsen und Brandenburg
Conrad Clemens, Chef der sächsischen Staatskanzlei, und Dr. Klaus Freytag, Lausitzbeauftragter des brandenburgischen Ministerpräsidenten, gaben in Weißkeißel einen kurzen Einblick, welche Rolle die Lausitz in den neuen Koalitionsverträgen in Brandenburg und Sachsen einnehme. Beide betonten: „Die Lausitz ist viel drin in den Koalitionsverträgen.“ Auch das NZV Lausitz spielt in beiden Papieren eine Rolle. Für Clemens ist es wichtig, dass der sächsische Weg im Strukturwandel schneller werden müsse, nachdem der Regionale Begleitausschuss über eingereichte Strukturwandel-Projekte sein Votum abgibt.
Was die Umsetzung kommunaler Projekte betrifft, gab sowohl die Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB), vertreten von Manuela Heise, Bereichsleiterin Infrastrukturförderung, als auch Daniel Näser, kommissarischer Bereichsleiter Zuschuss und Abteilungsleiter Infrastruktur der Sächsischen Aufbaubank (SAB) einen Überblick zum aktuellen Stand:
81 Projekte sind bislang durch die Interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) Lausitz auf Brandenburger Seite positiv votiert worden, wovon für 50 Projekte bereits eine Antragsstellung auf Förderung durch die ILB erfolgte. Davon gab es wiederum für 38 Projekte mit einem Investitionsvolumen in Höhe von 362 Millionen Euro bereits eine feste Zusage. 107 Millionen Euro für 28 Projekte wurden schon ausgezahlt. Für das Jahr 2025 plant die ILB Workshops für Vergabe- und Fördervergaben sowie für gezielte Fragestellungen, um im Prozess der Antragsstellungen bestmögliche Unterstützung zu leisten, womit speziell kleineren Kommunen geholfen werden soll.
Die SAB informierte, dass im sächsischen Lausitzer Revier bislang 136 Anträge (darunter 100 Projekte + 36 Teilprojekte) mit Gesamtkosten in Höhe von 1.021 Millionen Euro beantragt wurden. Davon wurden rund 510 Millionen Euro bislang bewilligt und rund 137 Millionen Euro bereits ausgezahlt.
Kommunen fürchten um sichere Wärmeversorgung
Zum Abschluss der öffentlichen Sitzung der Großen LAUSITZRUNDE wurde noch ein Thema in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gestellt, das vier Mitgliedskommunen des kommunalen Bündnisses ganz konkret betrifft: Die Städte Spremberg, Hoyerswerda und Weißwasser sowie die Gemeinde Boxberg fürchten um ihre sichere Wärmeversorgung, die bislang durch die Kraftwerke des Energiekonzerns LEAG in Boxberg und Schwarze Pumpe geliefert wurde. Durch das voraussehbare Abschalten der Kraftwerke und der auslaufenden Verträge mit dem Kraftwerksbetreiber (Spremberg und Weißwasser Ende 2025, Boxberg Ende 2026, Hoyerswerda Ende 2027), ist es unsicher, von wo und wie genau die Fernwärme künftig in die Haushalte geliefert werde. Die Kommunen appellieren daher jetzt mit einem Forderungsbrief an die Landes- und Bundespolitik, sie bei der Umstellung ihrer Wärmenetze zu unterstützen, vor allem finanziell. Unterzeichner des Briefes waren neben den Stadt- und Gemeindeoberhäuptern der vier genannten Kommunen ebenso die Landratsämter Bautzen, Görlitz und Spree-Neiße, die Geschäftsführer der Versorgungsbetriebe Hoyerswerda sowie der Städtischen Werke Spremberg und die Geschäftsführerin der Stadtwerke Weißwasser.
Boxbergs Bürgermeister Hendry Balko sagte dem „STARK für die LAUSITZ“-Portal anschließend: „So schnell kann keine Gemeinde oder Stadt eine grüne Wärmewende schaffen. Deshalb sind wir weiterhin auf Kooperation mit der LEAG angewiesen und hoffen, dass wir dahingehend noch ein paar Jahre Aufschub bekommen.“ Balko sprach insgesamt von einem sehr energischen Austausch im Rahmen der letzten Großen LAUSITZRUNDE im Jahr 2024, die nicht nur die positiven Dinge, sondern auch die kritischen Seiten des Strukturwandels angesprochen habe. So setzt sich die LAUSITZRUNDE weiterhin offensiv und gemeinschaftlich für kommunale Interessen ein. Der Europaabgeordnete Dr. Christian Ehler ordnete dies in einem exklusiven STARK für die LAUSITZ-/WochenKurier-Interview Anfang des Jahres einmal wie folgt ein: „Für die EU sind die Bürgermeister der Goldstandard für regionale Transformationsprozesse.“
Ab sofort erhältlich – Herbstausgabe des „STARK für die LAUSITZ“-Magazins 2024
Hier geht’s zum E-Paper!