Görlitz – Zgorzelec: Vorreiterrolle in der Fernwärmeversorgung
Die ersten Bauarbeiten beginnen dieses Jahr: Görlitz und Zgorzelec (Polen) wollen ihre Fernwärmeinfrastruktur miteinander verknüpfen. Ziel ist es, eine sichere, bezahlbare und klimaneutrale Wärmeversorgung auf die Beine zu stellen.
pm / jas
Die ersten Veränderungen sind Anfang 2025 in Görlitz bereits zu sehen. Ein 37 Hektar großes Areal im Gewerbegebiet „An der Autobahn“ nahe Hornbach ist bereits gerodet. Die Fläche hatten die Stadtwerke Görlitz kurz darauf gekauft. Hier soll eine Solarthermie-Anlage inklusive Solarmodulen und Erdbeckenspeicher errichtet werden. Diese Maßnahmen sind ein kleiner Teil eines großen Projekts, mit dem die Europastadt Görlitz/Zgorzelec eine Vorreiterrolle in Europa einnimmt und das nach Jahren der Planung zunehmend an Dynamik gewinnt.
Das Ziel des Projekts „UNITED HEAT – Klimaneutrale Fernwärme für die Europastadt“ steckt schon im Projekttitel: Dekarbonisierte Fernwärme über Landesgrenzen hinweg. Görlitz und Zgorzelec wollen bis zum Jahr 2030 ihre Fernwärmeinfrastruktur miteinander verknüpfen und komplett auf erneuerbare Energieträger umstellen. Dazu setzt man in Zukunft auf einen Mix verschiedener Technologien. Maßgeblich für das Projekt verantwortlich sind die Stadtwerke Görlitz und der polnische Fernwärmeversorger SEC Zgorzelec. Im Juli 2020 unterzeichneten die Bürgermeister beider Städte, Octavian Ursu und Rafał Gronicz, eine Absichtserklärung. Seitdem treiben die beiden Unternehmen die Planungen voran. „Die Fortschritte, die wir in dieser Zeit gemacht haben, übertreffen unsere ursprünglichen Erwartungen und stärken unsere gemeinsame Vision für die Zukunft“, sagt Rafał Gronicz, Bürgermeister von Zgorzelec.
Sein Görlitzer Amtskollege, Oberbürgermeister Octavian Ursu, ergänzt: „Mit der Entscheidung im Jahr 2020, uns auf den Weg zu einer gemeinsamen Fernwärmeversorgung zu machen, haben wir als Europastadt Görlitz/Zgorzelec in Europa eine Vorreiterrolle angenommen. Diese wird international gesehen und auch finanziell durch Bund und EU unterstützt. Die Herausforderung liegt dabei einerseits in der grenzübergreifenden technischen Infrastruktur und andererseits in der Ausgestaltung der Energiepreise, durch die den Bürgerinnen und Bürgern keine Nachteile entstehen sollen.“
Förderung durch EU und Bund
Das Fördermittelkonzept steht inzwischen und die Fördermittel-Akquise läuft. Bereits Anfang 2024 hatten die beiden Unternehmen erste Förderanträge zur Finanzierung der Planungskosten aber auch bereits für den Bau von konkreten Anlagen und Leitungen bei der EU eingereicht. Ebenfalls 2024 wurden Anträge für die nationale Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) gestellt. In beiden Fällen gab es positive Rückmeldung, wurden die höchsten Fördermittelbeträge zugesagt. Gerade mit Blick auf die EU-Förderung ist das bemerkenswert, denn bisher konnten sich nur wenige Vorhaben für eine Förderung im Rahmen des Programms Connecting Europe Facility (CEF) qualifizieren. Anfang 2025 beantragten beide Unternehmen weitere Fördergelder zum Bau von Erzeugungsanlagen und Verbindungsleitungen bei der EU. Die Antwort wird im Sommer erwartet.
Für die Umsetzung des gesamten Projektes sind Investitionen von mindestens 195 Millionen Euro notwendig. Davon ca. 158 Mio. Euro auf der deutschen Seite und ca. 37 Mio. Euro auf der polnischen Seite. „Angesichts der geplanten umfangreichen Investitionen in unser Projekt ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir auf substanzielle finanzielle Unterstützung in Form von Fördermitteln zurückgreifen können. Nur so wird es uns möglich sein, unsere Dienstleistungen zu sozial verträglichen Preisen anzubieten“, erklärt Matthias Block, der Vorstandsvorsitzende der Stadtwerke Görlitz AG. Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, benötige man eine Förderquote von mindestens 80 Prozent. „Diese hohe Förderung ist unerlässlich, um die Umsetzung des Projekts in vollem Umfang zu gewährleisten und gleichzeitig die Belastung für die Endverbraucher in einem akzeptablen Rahmen zu halten“, so Block. Die jüngste Energiekrise habe deutlich vor Augen geführt, welche gravierenden Auswirkungen drastische Preissteigerungen auf die finanzielle Situation der Haushalte haben können.
Fünf Fernwärmegebiete müssen verbunden werden
In Görlitz gibt es derzeit vier separate Fernwärmegebiete. Die Energie kommt hier hauptsächlich aus Erdgas. In Zgorzelec gibt es ein Fernwärmenetz, das die Energie hauptsächlich aus Braunkohle und ergänzend aus Erdgas bezieht. Auf deutscher und polnischer Seite werden so zusammen jährlich etwa 50.000 Tonnen CO2 ausgestoßen.
Damit Bürgerinnen und Bürger in Zgorzelec und Görlitz zukünftig klimaneutrale Fernwärme beziehen können, müssen die fünf Fernwärmegebiete miteinander verbunden werden. Dafür werden zwölf Kilometer neuer Fernwärme-Leitungen benötigt. So entsteht ein grenzüberschreitendes Netz, mit dem die Fernwärmeversorger künftig effizienter und flexibler Fernwärme aus verschiedenen Technologien erzeugen können. Ein weiterer Vorteil: Durch den Bau der neuen Fernwärmeleitungen können auch neue Stadtteile an die Wärme angeschlossen werden.
Ab 2030 soll ein Drittel des Fernwärmebedarfs der gesamten Europastadt mittels Wärmepumpen gedeckt werden, die die Wärme aus dem Berzdorfer See und dem gereinigten Abwasser der Kläranlage „Nord“ in Görlitz entnehmen. Weitere 17 Prozent der Fernwärme werden aus Solarthermie in Kombination mit saisonalen Wärmespeichern entstehen und 48 Prozent kommen aus Biomasse. Bei letzterer ist der Anteil in Görlitz und Zgorzelec unterschiedlich verteilt. Der Anteil der Biomasse am Wärmemix wird in Görlitz unter 25 Prozent liegen, in Zgorzelec dementsprechend deutlich höher sein. Hintergrund ist, dass in Polen eine sehr viel höhere Vorlauftemperatur benötigt wird als in Deutschland, was den Einsatz von Wärmepumpen und Solarthermie bei kalten Temperaturen begrenzt. Die restlichen zwei Prozent der Fernwärmeerzeugung kommen Abwärmenutzung und Power-to-Heat (Wärmeproduktion aus Strom) zum Einsatz.
Erste Bauarbeiten in diesem Jahr
Die 37 Hektar große Fläche im Gewerbegebiet „An der Autobahn“ in Görlitz ist bereits für die dort geplanten Baumaßnahmen vorbereitet. Der Baubeginn der Solarthermie-Anlage inklusive Solarmodulen und Erdbeckenspeicher ist für 2027 geplant, die Fertigstellung Ende 2029.
Bereits in diesem Jahr werden weitere Maßnahmen umgesetzt. Auf deutscher Seite beginnt noch 2025 der Bau des ersten Kilometers der Verbindungsleitung zwischen dem Blockheizkraftwerk in Görlitz Königshufen und der Görlitzer Kläranlage „Nord“. Außerdem werden in der zweiten Jahreshälfte Arbeiten zur Integration und Erweiterung von Klärgasspeichern auf dem Gebiet der Görlitzer Kläranlage aufgenommen. Als weitere Baumaßnahme für dieses Jahr startet der Bau eines Biomasseheizkraftwerkes auf der polnischen Seite.
In den Jahren 2026 und 2027 folgen weitere Baumaßnahmen. Dazu zählen der Bau einer Abwasserwärmepumpe und Wärmeübertragungsstation in der Kläranlage Görlitz, die Errichtung einer Seethermieanlage mit einer Wärmepumpe für den Berzdorfer See und einer kleinen Biomasseanlage in Görlitz Weinhübel sowie der Bau von Solarthermie und einer Biomasseanlage in Zgorzelec.
Für die Umsetzung des ambitionierten Projekts UNITED HEAT braucht es reichlich Expertise. Deswegen wurde eine deutsch-polnische Arbeitsgruppe gegründet. Ihr gehören nicht nur Spezialisten der beiden beteiligten Unternehmen an, sondern auch Fachkräfte der beiden Anteilseigner. „Ein Vorhaben dieser Tragweite ist alles andere als Routine. Wir sind äußerst dankbar, dass wir auf das umfassende Know-how der Veolia-Gruppe und E.ON zugreifen können. Die tatkräftige Unterstützung unserer Kollegen ist dabei von unschätzbarem Wert“, sagt Grzegorz Bicki, der Vorsitzende der Geschäftsführung der SEC Zgorzelec. Insgesamt arbeiten etwa 30 Fachkräfte aus verschiedenen Ländern mit Hochdruck daran, das zukunftsweisende Vorhaben umzusetzen.
Neue Arbeitsplätze in der Region
Das Projekt schafft auch neue Arbeitsplätze in der Region. Erste Personalkapazitäten haben die Stadtwerke bereits aufgebaut und stellen gerade weitere Mitarbeiter ein, u.a. Finanzmanager, Einkäufer, Fördermittelspezialisten sowie Claim-Manager. Darüber hinaus sollen bei Dienstleistungs- und Bauaufträgen natürlich regionale Firmen einbezogen werden, was wiederum Arbeitsplätze in Planungs- und Bauunternehmen in der Region sichert. Und auch nach der Umsetzung wird für den laufenden Anlagenbetrieb Personal benötigt.
Ihr Kontakt: Jannis Simons – +49 174 32365241 – E-Mail: jannissimons@wochenkurier.info