„chesco“: Wo die BTU-Präsidentin vom Maschinentechniker zurechtgewiesen wird
Forschungsfabrik des größten Forschungsprojekts im Lausitzer Strukturwandel in Cottbus offiziell eröffnet
Jannis Simons / pm
„Das bringt dem ehemaligen Industriearbeiter in der Braunkohle auch keinen neuen Arbeitsplatz“, „das hilft den klein- und mittelständischen Unternehmen der Region auch nicht weiter“ und „hier finden junge Lausitzer auch keine berufliche Perspektive“. Die mancherlei vielen Vorurteile gegen die hiesigen Vorhaben im Strukturwandel widerlegt das größte Forschungsprojekt der Lausitz bei der feierlichen Eröffnung am vergangenen Freitag eindrucksvoll.
Am frühen Freitagmorgen öffnet die „chesco“-Forschungsfabrik in Cottbus-Dissenchen vorab des Stelldicheins der Politik- und Wirtschafsprominenz seine Türen für Presse- und Medienvertreter. „Chesco“, das steht für Center for Hybrid Electric Systems Cottbus (Deutsch: Zentrum für hybrid-elektrische Systeme). Damit gemeint ist ein integriertes Forschungs- und Kooperationszentrum in der Lausitz, in dem zukünftig bis zu 400 Mitarbeitende klimafreundliche Flugantriebe für Kurz- und Mittelstrecken planen, testen und umsetzen können. Die Anwendungsfelder sollen auch Einsätze in den Bereichen Automobil, Bahn und Schifffahrt finden.
Über 30 Fachgebiete der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg bringen ihre Expertise in diese Forschungseinrichtung ein. Knapp über 50 Mitarbeiter aus zehn verschiedenen Ländern verfolgen hier aktuell schon die Mission: „We make green mobility happen“. Sie sind größtenteils alles Lausitzer oder Rückkehrer in die Lausitz und sehr international aufgestellt. Dieses Team besteht aus Technikern, Maschinenbauern, Marketing-Fachleuten, wissenschaftlichen Hilfskräften, Betriebswirtschaftlern, Architekten, um nur ein paar der vielfältigen Berufsfelder zu nennen, die hier schon „zu Hause“ sind. „Es ist ein bisschen Start-Up-Feeling“, beschreibt Marco Lubosch, Leitung Fertigung, den laufenden Prozess. „Wir sind zu fünft gestartet, haben dann Prozesse entwickelt und gehen gerade mit großen Schritten voran, hier Hierarchien aufzubauen“, so Lubosch. Chesco kooperiert dabei mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft. Hierzu zählen Kooperationen mit Universitäten in ganz Europa, außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie dem Institut für Elektrifizierte Luftfahrtantriebe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), mehreren Fraunhofer-Instituten und vor allem mit klein- und mittelständischen Unternehmen vor Ort.
2021 wurde die Förderwürdigkeit des chesco-Projekts durch die interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) Lausitz der Landesregierung bestätigt. In den kommenden Jahren sollen insgesamt 238 Millionen Euro in den Aufbau und die Ausstattung des Forschungszentrums auf dem Gelände des zukünftigen Lausitz Science Park (LSP) Cottbus fließen. Die Finanzierung von chesco erfolgt über die Förderrichtlinie der Staatskanzlei des Landes Brandenburg zur Strukturentwicklung Lausitz, die Mittel kommen also aus dem Strukturstärkungsgesetz des Bundes – dem umgangssprachlich genannten Strukturwandel-Topf. Innerhalb von nur fünf Jahren ist aus einer Vision ein Projekt entstanden, das europaweit einzigartig ist und weltweite Impulse für umweltfreundliches Reisen geben kann.
Ehemaliger Kraftwerksbauer findet hier neue Berufung
Während sich der Aufbau des künftigen LSP auf dem ehemaligen Flugplatzgelände in Cottbus-Nord noch hinzieht, hat Chesco die ersten Anlagen in den Interimsräumen und – hallen in Cottbus-Dissenchen unter Betrieb genommen. Eine der ersten Stationen beim Presserundgang durch die Forschungsfabrik ist eine Keramik-Druckanlage, die es weltweit nur dreimal gibt. Sie kann sehr komplizierte Bauformen, wie auch Maschinenteile, herstellen, die individuell von Unternehmen in Auftrag gegeben werden können, erklärt Mitarbeiter Sven Kegel. Auch am Tage der Eröffnung nimmt dieser den Arbeitsschutz sehr ernst und bittet kurzerhand BTU-Präsidentin Prof. Gesine Grande ohne zu zögern etwas mehr Abstand zur Maschine zu nehmen. Dieser Vorgang an jenem Freitagmorgen macht dieses große Forschungsprojekt, was für Außenstehende oftmals abstrakt und „weit hergeholt“ klingt, im Lausitzer Strukturwandel nah- und greifbar. Der Maschinentechniker war früher im Kraftwerksbau tätig und sein ehemaliger Arbeitsplatz damit unmittelbar mit der Braunkohleverstromung verbunden. Hier im Team „chesco“ hat Sven Kegel eine neue Berufung gefunden, die ihn persönlich sehr reize, weil er viele neue Techniken dadurch erlernen kann, wie er den anwesenden Medien berichtet.
„Die Eröffnung der chesco-Forschungsfabrik stellt einen ersten Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung von alternativen Antriebstechnologien in Cottbus dar und leistet so einen Beitrag zu den gesetzten Klimazielen der Bundesregierung“, heißt es in der Pressemitteilung der BTU und weiter: „Die Fabrik verfügt im Fertigungsbereich über einen Maschinenpark für die innovative und effiziente Herstellung von Prototypen. Die Anlagen decken dabei Prozesse in den Bereichen Rohstoffaufbereitung, Vorrichtungsbau, additive Fertigung, Zerspanung, Wärmebehandlung und Sintern, Inspektion und Analyse sowie später auch Fertigung elektrischer Antriebskomponenten ab.
Das chesco verfügt in der additiven Fertigung derzeit über Maschinen, die sowohl Kunststoffe als auch keramische und metallische Werkstoffe verarbeiten können. Die Schicht-für-Schicht-Bauweise erlaubt es, komplexe Formen und Strukturen zu realisieren, die mit herkömmlichen Methoden nicht zu erreichen wären. Die Qualität von Bauteilen wird mittels hochmoderner Röntgen-Computertomographie kontrolliert, die es ermöglicht, das Innere von Werkstücken zu analysieren. So können insbesondere Einschlüsse oder Hohlräume identifiziert werden. Darüber hinaus erlaubt eine Koordinaten-Messmaschine, die Form und Oberflächenbeschaffenheit von Bauteilen im Hinblick auf optimale Funktionalität genauestens zu überprüfen.“
Auch im Fertigungsbereich „Zerspanung und Inspektion“ stehen hier drei Anlagen von weltweit nur sechs Stück auf der Welt, die die Einzigartigkeit dieses Gesamtprojekts noch einmal unterstreichen. Ziel von chesco ist es, die Entwicklungszeit innovativer Antriebstechnologien durch die zentrale Bündelung der Forschungs-, Fertigungs- und Testkompetenzen um ein Vielfaches zu beschleunigen. „Nirgendwo auf dieser Welt gibt es bisher all diese Bereiche an einem Ort“, sagte Prof. Georg Möhlenkamp, einer der wissenschaftlichen Projektleiter, auf einem Pressetermin vor rund einem Jahr.
Lausitzer Unternehmen profitieren
Ein zentrales Anliegen des chesco-Teams um Gesamtkoordinatorin Jane Wortlitz (die mit Anfang 30 als gebürtige Forsterin die Chance dazu bekommen hat) ist es, das Wissen und die Technologie der chesco-Forschungsfabrik sowie deren Infrastruktur für Lausitzer Unternehmen nutzbar zu machen und so die regionale Wirtschaft zu stärken. Realisiert wird dies innerhalb des mit 18 Millionen Euro geförderten Projekts „taf – Transfer agiler Fertigungsmethoden“ auf 5.100 Quadratmeter in drei Hallen.
Die Nutzungsmöglichkeiten der chesco-Forschungsfabrik gehen nämlich weit über die Bereiche der Luftfahrt und der Mobilitätsbranche hinaus. Moderne Fertigungsverfahren wie der 3D-Druck können auch in anderen Bereichen des Maschinenbaus und der Elektrotechnik, der Medizin-, der Energie- und Verfahrenstechnik und vielen anderen Gebieten Anwendungen finden. Insbesondere auch für Handwerks- und kleinere Produktionsbetriebe bieten diese Fertigungsverfahren perspektivisch viele Möglichkeiten. So wurde zum Thema additive Fertigung das Netzwerk „Innovationsdruck“ innerhalb von taf zusammen mit dem Bundesverband Mittelständische Wirtschaft und lokalen Unternehmen gegründet. Hier können sich Unternehmen austauschen und Projektideen einbringen.
Welche erfolgreichen Beispiele es im Wissens- und Forschungstransfer gibt, zeigte die Podiumsdiskussion „Wie Forschung und Innovation den Wandel in der Lausitz fördern“, an der sich Vertreter der lokalen Wirtschaft, wie z.B. das Orthopädie- und Reha-Team Zimmermann oder die F&L Kunststofftechnik, im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung vor rund 150 Gästen beteiligten.
Neuer Masterstudiengang ab Herbst an der BTU
„Chesco setzt von Anfang auf Kooperation mit regionaler Wirtschaft, um gemeinsam Wege zur Innovation und wirtschaftlichem Wachstum zu beschreiten“, so BTU-Präsidentin Prof. Grande in ihrer Eröffnungsrede. Darin berichtete sie auch, dass es ab Semesterstart im Herbst dieses Jahres einen neuen Masterstudiengang für hybrid-elektrische Systeme an der BTU geben wird, für den es schon rund 300 Bewerbungen gegeben hat. Wie die Zukunft der grünen Mobilität in der Luftfahrt konkret aussehen kann und welche Herausforderungen mit dem hybrid-elektrischen Fliegen verbunden sind, diskutierten Vertreter von Rolls-Royce, Airbus, Boeing und APUS im Rahmen einer weiteren Podiumsdiskussion während der Eröffnungsveranstaltung. All diese internationalen Player der Luftfahrtbranche setzen große Stücke und Hoffnungen auf dieses Forschungszentrum in der Lausitz und wollen künftig bei ihren Produktentwicklungen davon profitieren.
Tag der offenen Tür am 1. Juni
Ein vielseitiges Programm erwartet die interessierte Öffentlichkeit, Familien und Technikbegeisterte am kommenden Samstag, den 1. Juni, in der Zeit von 10 bis 14 Uhr beim Tag der offenen Tür im Center for Hybrid Electric Systems Cottbus (chesco) in Cottbus-Dissenchen in der Werner-von-Siemens-Straße 7.
„In Führungen durch die Fertigungshallen – auch in speziellen Kinderführungen – vermittelt das chesco-Team spannende Einblicke in innovative Technologien, die Bedeutung der Forschungsfabrik für den Strukturwandel in der Lausitz sowie in die Arbeit und Partnerschaften des Zentrums. Interessierte haben die Möglichkeit, einen Eindruck von Forschung und Entwicklung zu grüner Mobilität von morgen zu erhalten und den modernen Maschinenpark hautnah zu erleben“, heißt es im offiziellen Einladungsschreiben.
Das Programm für Groß und Klein im Überblick:
- Führung durch die Fertigungshallen inkl. spezieller Kinderführungen
- Elektromotoren zum selbst bauen
- Kinderschminken
- Ausstellung der beteiligten Fachgebiete der BTU Cottbus-Senftenberg
- Ausstellung zu Forschung und Entwicklung
- Information zu Jobmöglichkeiten am chesco
- Information zum neu entstehenden Forschungsstandort Lausitz Science Park (LSP)
Mehr unter: www.b-tu.de/chesco
Frühjahrsausgabe „STARK für die LAUSITZ“ 2024 ist erschienen
Frisch erscheinen ist die neueste Ausgabe unseres STARK für die LAUSITZ-Magazins. Diesmal im Fokus: Der Landkreis Bautzen und seine Leuchtturmstädte Bautzen, Kamenz, Hoyerswerda und Bischofswerda. Natürlich werfen wir darin aber auch wie immer einen Blick auf Aktuelles vom Strukturwandel in Brandenburg rund um die Boomtown Cottbus. So beeindruckte z.B. der Sonderausschuss Strukturentwicklung der Brandenburger Landesregierung den Ausschuss für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie im Landtag Nordrhein-Westfalen mit seinen Berichten über die Fortschritte im Lausitzer Revier, getreu dem Motto: „Brandenburg zeigt, wie es geht“.
STARK für die LAUSITZ ist frei erhältlich in vielen regionalen Auslagestellen in der Ober- und Niederlausitz und online als E-Paper hier.
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Ihr Kontakt: Jannis Simons – +49 174 32365241 – jannissimons@wochenkurier.info