Alte Brennerei in Altdöbern soll zu neuem Leben erweckt werden
Ein Kümmerer im Herzen der Stadt – Lokatorium Altdöbern mit Innenstadtpreis ausgezeichnet
Stefan Staindl / C.M. Schwab
Industriekultur bewahren und sie einer nachhaltigen Nutzung zuzuführen wird zum wesentlichen Baustein des Strukturwandels in der Lausitz. Schlummernde Industriebrachen, verödete Firmenanwesen und ungenutzte Grundstücke gilt es, aus ihrem Dornröschenschlaf zu küssen und sie in den fortschreitenden Transformationsprozess einzubinden, um sie zu Keimzellen für eine zukunftsweisende Entwicklung zu formen.
Für die ehemalige Brennerei Riedel & Sohn in Altdöbern scheint jetzt die Zeit der Wandlung gekommen. Das Firmengelände in der Bahnhofstraße 10-12 soll als Wirtschafts-, Kultur- und Innovationszentrum wiederbelebt werden. Dieses Ziel verfolgt das Projekt Lokatorium, in dem Christian Schlodder einer von vier jungen Visionären diesen Prozess vorantreibt. Während einer Begehung zeigten er und weitere Mitstreiter, wie die Zukunft der ehemaligen Brennerei aussehen könnte.
Schlodder, Jahrgang 1987, ist in Altdöbern geboren und aufgewachsen. Nach Schulabschluss zog er, wie viele aus seiner Generation, von zu Hause weg. Die Lausitz bot für ihn zu wenig Perspektive. Der gelernte Industriekaufmann gründete in Berlin ein IT-Unternehmen mit mittlerweile über 30 Angestellten. Dass Christian Schlodder auf die ehemalige Brennerei Riedel & Sohn aufmerksam wurde, kann sich ein Freund aus München zugutehalten. Er suchte nach Atelierräume im ländlichem Raum. Im Zuge der Nachforschungen entdeckte Schlodder das ungenutzte, teils altersschwache und abgenutzte Gelände der ehemaligen Riedel-Brennerei. Ein Ort mit reichhaltiger Geschichte, aber auch jeder Menge ungelöster eigentumsrechtlicher Fragen.
Von Altdöbern bis nach England
»1798 ist die Brennerei gegründet worden und wurde sechs Generationen in Familienhand geführt. Exportiert wurde aus Altdöbern sogar bis nach England – bis zur Schließung 1993/94. Dann stand die Produktion still. Seit 30 Jahren wurde das Gelände nun nicht mehr genutzt«, erzählt Christian Schlodder und verrät, dass seine Familie ein Teil der Firmengeschichte mitgeschrieben hatte. »Meine Großmutter war hier in der Brennerei tätig.« Jetzt hat ihr Enkel den Weg in das historische Ensemble gefunden und schließt damit fast märchenhaft einen Kreis.
Wie Christian Schlodder informiert, wollen sie die vorhandene Bausubstanz des 3.375 Quadratmeter großen Areals soweit es geht in den Entwicklungsprozess zum innovativen Zentrum einbeziehen: »Die industriellen Räume vermitteln das Flair der einstigen Handarbeit. Das ist ein spannendes Motiv und eine solide Grundlage für eine nachhaltige Zukunft, die aus Tradition erwächst.«
Geplant ist ihm zufolge eine Mischnutzung aus Übernachtungsmöglichkeiten, Einzelhandel und Dienstleistungsgewerbe, aus Kunst-, Kultur- und Seminarräumen. »Und natürlich soll auch wieder eine Destille angesiedelt werden«, blickt Christian Schlodder optimistisch in die Zukunft. Bei aller Zuversicht ist ihnen jedoch auch klar: »Das Zentrum muss sich – im Sinne einer Gemeinschaftsökonomie – wirtschaftlich selbst tragen und sollte resilient sein.«
Schätzung der Kosten: 9,5 Millionen Euro
Dabei soll das Lokatoirum Menschen verbinden, Netzwerke schaffen und Impulsgeber für weitere Entwicklungsschritte in Altdöbern und gern auch über die Stadtgrenzen hinaus sein. Mit dem Park und seiner Schlossanlage, der charmanten Innenstadt und dem Kulturhaus am Weinberg ist bereits eine solide Grundlage vorhanden.
Für ihre Vision müssen Christian Schlodder und seine Mitstreiter bisher viel Geduld aufbringen. »Seit eineinhalb Jahren beschäftigen wir uns mit Eigentumsrecht und Entschuldung. Jetzt können wir offiziell berichten, dass die ehemalige Brennerei entschuldet ist und der Prozess der Rückübertragung in Sichtweite ist«, sagt Schlodder, atmet durch und fügt fort, dass sie aktuell dabei sind, die Verkehrssicherheit für das Gelände herzustellen. »Wir planen, uns am Tag der Baukultur am 14. September zu beteiligen, um die Brennerei mit ihren Gebäuden vorzustellen.«
Um die nächsten Schritte gehen zu können, Projektskizzen zu qualifizieren, Bauvorplanung und Bestandssicherung anzugehen, hoffen sie auch auf Fördermittel aus der »InKult«-Förderung. »Ein erneuter Aufruf soll ab September dieses Jahres erfolgen und wir wollen uns mit unserem Konzept bewerben«, sagt Christian Schlodder. Er beziffert die voraussichtlichen Kosten auf rund 9,5 Millionen Euro.
Während einer kleinen Führung wurde deutlich, dass der Zahn der Zeit den Verfall und die Abnutzung der Industriebauwerke vorangetrieben hat. Was auf den ersten Blick charmant anmutet, ist bei genauerer Betrachtung durchaus stark sanierungsbedürftig. Das hindert jedoch die vier Visionäre nicht, die Räume bereits durch die Zukunftsbrille zu sehen. »Hier könnte ein repräsentatives Einzelhandelsgeschäft einziehen, das die bestehenden Warengruppen im Ort ergänzt«, sagt Mischel Boß, einer der jungen Macher. Er steht mit seiner kleinen Gruppe in einem Raum im Erdgeschoss, der direkt an der Bahnhofstraße angrenzt. Außerhalb der Fenster blickt ihnen die Marktstraße entgegen. »Bis 2007 hatte eine Bank hier ihren Standort. Zu Zeiten der Brennerei war es das Zuhause eines Lebensmittelladens.«
Mischel Boß führt die fünfköpfige Runde eine Treppe hinauf in das erste Obergeschoss. »Wir befinden uns hier im ehemaligen Wohnbereich der Familie Riedel. Buntglasfenster, ein Kamin, Echtholzparkett und große weiße Holztüren sind stille Zeugen dieser Zeit«, erzählt er, während die Besucher vorsichtig einen Blick durch das zweite große Fenster mit klassischen Gläsern auf den Innenhof der Brennerei werfen. »Der gesamte Bereich dieser Etage könnte zukünftig als Herberge für Übernachtungen genutzt werden. Zwischen 25 und 30 Betten hätten hier Platz.« Über eine kleine Treppe werden etwa zwei Höhenmeter überwunden. Es geht wieder abwärts. Mischel Boß öffnet die nächste Tür und bittet hinein: »Willkommen im ehemaligen Büro von Herbert Riedel, einem der Geschäftsführer.« Tatsächlich. Es fehlen zwar Schreibtisch und der erwartete Chefsessel, aber im Einbauregal zwischen den zwei großen Kreuzstockfenstern, die den Blick auf die Bahnhofstraße freigeben, befinden sich noch alte Bücher, Ordner und Aktenhelfer. Ein rotes Telefon steht schweigend in der Ecke, vom grauen Anschlusskabel überlagert. Leere Glasflaschen sind mit Staub veredelt. »Wir stehen vielleicht im künftigen Eingangsbereich für den Herbergsbetrieb«, blickt Mischel Boß voraus und zeigt auf einen zugemauerten Durchgang in der Wand. »Dieser könnte wieder geöffnet werden und dann würde man in der Hofeinfahrt stehen. Auf der anderen Seite befindet sich der normale Türeingang. Das wäre hier ein sehr guter Bereich für eine Lobby mit integrierter Rezeption«, erzählt er. Bevor die Gruppe das ehemalige Büro verlässt, zeigt Mischel Boß noch eine feine Besonderheit des Raumes. Er öffnet eine Schranktür. Dahinter verbirgt sich eine weitere Tür. »Das ist eine geheime Tür, wenn der Chef sehr schnell das Büro verlassen musste. Eine Art Hinterausgang oder auch Fluchtweg, wenn es nötig war.«
Brennerei soll wieder einziehen
Jetzt geht es durch das Erdgeschoss wieder hinaus in den Innenhof. »In dieser Richtung liegen die ehemaligen Chemielabore der Brennerei«, sagt Mischel Boß und weist auf einen langen Flur. Draußen sehen die Gruppenteilnehmer nur kurz die Sonne. Boß führt sie in einen kühlen und dunklen Raum. »Das ist der Rittersaal der ehemaligen Gaststätte, die sich in diesem Gebäude befunden hatte. Das würde sich hier gut für Seminarräume eignen. Natürlich muss dafür die Decke geöffnet und mehrere Fenster eingebaut werden, um das Tageslicht optimal nutzen zu können.«
Die frühere Abfüllhalle mit gusseisernen Trägern und Gewölbedecke ist die letzte Station der Tour. »Ganz klar, hier soll wieder eine Brennerei hinein. Das alte Lager unter unseren Füßen könnte dabei wieder seine frühere Bestimmung aufnehmen.« Gegenüber der Abfüllhalle steht ein sehr bemitleidenswerter Ziegelbau aus roten Mauersteinen. »Das könnte ein Bürogebäude werden«, sagt Boß. »Rechts daneben sind vier Künstlerwohnungen und entsprechende Ateliers denkbar.«
Etwa 2030 soll, nach Abschluss der Bauphasen, das Lokatorium ins Laufen kommen. Dazu ist bereits die Suche nach Investoren und Partnern gestartet. Ein Interessent, der an diesem geschichtsträchtigen Standort wieder Spirituosen brennen möchte, ist bereits gefunden. Doch nicht nur das Gelände weiß Geschichte zu erzählen. Diese zeigt sich auch im Namen Lokatorium. »Lokatoren waren im Mittelalter Leute, die von ihren Herren eingesetzt wurden und als Organisatoren tätig waren – etwa für die Besiedlung einer Region. Unser Lokatorium soll auch so eine Art Kümmerer sein, der ordnet und vereint, Ideen und Impulse bündelt und nach außen trägt«, erzählt Christian Schlodder.
Dass ihre Idee Anklang findet beweist eine erste Anerkennung. Das Projekt »Lokatorium« hat als weiteren Motivationsschub beim Brandenburger Innenstadtwettbewerb 2023/24 einen Preis über 10 000 Euro abgesahnt. Im Wettbewerb wurden neue Ideen, Konzepte und Projekte prämiert, die zur Innenstadtstärkung beitragen. Das »Lokatorium« könnte für Altdöbern und der Lausitz demnach eine tragende Rolle übernehmen.
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